Wissen des Menschen
Wissen entsteht in Menschen aus Informationen. Nur
der Mensch ist in der Lage "Wissen" zu verarbeiten, etwas zu "wissen"
und neues Wissen zu erzeugen. Um Wissensmanagement erfolgreich durchführen zu können,
ist es notwendig, die Wissensprozesse, die innerhalb eines Individuums ablaufen, zu
verstehen. Sie werden in diesem Kapitel dargestellt, bevor im nächsten Kapitel darauf
eingegangen wird, wie diese Wissensprozesse im dynamischen Umfeld einer Gruppe oder
Organisation ablaufen. Auch wird in die nachfolgende Betrachtung mit einbezogen, wie der
Einzelne in den Wissensprozess innerhalb einer Gruppe oder Organisation involviert werden
kann, bzw. inwieweit er hinsichtlich dessen von Bedeutung ist.
Implizites und explizites Wissen des Menschen
Menschliches Wissen kann in zwei Kategorien klassifiziert werden: In
explizites Wissen und in implizites Wissen. Explizites Wissen ist formal zu beschreibendes
oder zu artikulierendes Wissen. Es existiert bereits in beliebiger Form; wie zum Beispiel
in Textdokumenten, Datenbanken und Ähnlichem, oder ist seinem Träger zumindest bewußt.
Mit diesem Wissen können andere Menschen umgehen. Implizites Wissen hingegen, entzieht
sich dem formalen sprachlichen Ausdruck. Diese Form von Wissen basiert auf Erfahrungen,
Erinnerungen und Überzeugungen, oder wird geprägt durch persönliche Wertsysteme. Es ist
ein entscheidender Bestandteil menschlichen Verhaltens.
Takeuchi und Nonaka greifen den Begriff des 'impliziten Wissens' auf
und verstehen ihn so, daß dieses Wissen körperliche als auch geistige Dimensionen
aufweist. Es bedeutet einerseits das Ergebnis von 'learning by doing' als auch
andererseits die Verinnerlichung von Werten und Idealen in den konkreten Individuen. Ein
Unternehmen besteht zudem aus der Interaktion von allen beteiligen Individuen. Aus dieser
zweiten Prämisse folgt dann die Conclusio, daß Kreativität und neues Wissen im
Unternehmen nur durch die Einbeziehung des impliziten Wissens der Mitarbeiter stattfinden
kann. Die Verwandlung von implizitem in explizites Wissen ist für Nonaka und Takeuchi der
Schlüssel für die Frage nach dem Erfolg japanischer Unternehmen.
Menschen, deren Arbeitsmittel das Wissen ist (sogen.
"Wissensarbeiter"), treffen 72% ihrer Entscheidungen basierend auf implizitem
Wissen. Das bedeutet, daß nur 28% der Entscheidungen aufgrund von explizitem Wissen, also
informationstechnisch zu verarbeitendem Wissen getroffen werden. Dadurch die Wichtigkeit
der Unterscheidung von Wissen in diese Kategorien betont.
Aus diesen Annahmen leiten sich verschiedene Wissensdimensionen ab, die
zu unterschiedlichen Wissensprozessen führen. Sie werden im folgenden erläutert.
Wissensprozesse
von Menschen
Wissen ist gemäß der eingeführten Definitionen
subjektiv. Daraus wird das Grundproblem im Umgang mit Wissen abgeleitet. Ab einem
bestimmten Zeitpunkt beginnt ein Säugling zu lernen, also Wissen zu erzeugen. Doch jedes Individuum
lernt anders und geht unterschiedlich mit seinem Wissen um. "Das nachhaltigste Lernen
entspringt der unmittelbaren Erfahrung". Gelernt wird nicht nur mit dem Verstand,
sondern ebenso mit dem Körper. Lernen ist ein Prozeß von Versuch und Irrtum. Nonaka und
Takeuchi beschreiben den Prozeß der Wissensschaffung in japanischen Unternehmen als
"Umwandlung von implizitem in explizites Wissen".
Für Organisationen ist es allerdings wichtig, das Wissen, das in den
Köpfen der Mitarbeiter ist, d.h. das implizite Wissen, auch den Mitarbeitern zugänglich
zu machen, die dieses Wissen ebenfalls benötigen. Als Ziel haben wir nun: implizites
Wissen in explizites zu transformieren, privates Wissen in kollektives zu überführen.
Da, wie zu Beginn bereits erläutert, Wissen innerhalb unserer
Betrachtungsweise subjektiv ist, beinhaltet die oben angestrebte Wissenstransformation
innerhalb der Mitarbeiter die Problematik, Wissen in die Köpfe der Mitarbeiter zu bringen
und ebenso, dieses aus ihren Köpfen zu bekommen. Handelt ein Experte in einer ihm
bekannten Situation, so geschieht dies für ihn intuitiv, d.h. die dabei ablaufenden
Vorgänge werden vom ihm nicht rational erklärt. Er handelt automatisch und
selbstverständlich. Um dieses Wissen Anderen verfügbar zu machen bedarf es der Anwendung
bestimmter Techniken.
Abbildung
2: Wissensprozesse des Einzelnen
"Wissenserwerbskompetenz, Orientierungskompetenz und
Sozialkompetenz werden zu wichtigeren Berufsqualifikationen als ein Know-how
(Fachkompetenz) in Form eines Wissens, das in den zunehmend intelligenter werdenden
Speichern relativ gut aufgehoben und abrufbar ist."
Prozesse, die für ein einzelnes Individuum gelten, können
-entsprechend erweitert- auch auf Organisationen übertragen werden. Organisationen
entstehen durch die Zusammenarbeit von Menschen. Daraus ergeben sich weitere Anforderungen
an das Wissensmanagement, das im folgenden Kapitel dargestellt werden sollen.
Wissen von Organisationen
Eine Organisationsdefiniton bei der Wissen
angemessen berücksichtigt wird gibt Wiegand: "Die Organisation wird als offenes
soziales bzw. sozio-technisches System mit angebbarem Mitgliederkreis verstanden,
daß zeitpunktbezogen über verschiedene Arten und Formen von Wissen verfügt bzw.
gespeichert hat, die lernebenenspezifisch und zustandsgebunden generiert wurden. Die
Organisation wird mit anderen Worten als Wissenspeicher konzipiert. Entlang
dieses (organisationsspezifischen) Wissens, daß der Organisation ein bestimmtes
Verhaltenspotential eröffnet, ist die Organisation von der Umwelt und von anderen
Organisationen sowohl aus einer Aussen- als auch aus einer Innenperspektive
abgrenzbar."
Wissen und Lernfähigkeit von Organisationen ist die Grundvoraussetzung
dafür, daß notwendige Anpassungsprozesse der Organisation an ihre Umwelt stattfinden
können. Wissen hat für Organisationen nur dann einen Nutzen, wenn es für sie
handlungsrelevant ist und ziel- und zweckgerichtet eingesetzt werden kann. Deshalb ist es
auch wichtig, Wissen zu managen.
Implizites
und explizites Wissen von Organisationen
Ausgehend von der eingeführten Definition des
Wissensbegriffs, kann Wissen nur durch Individuen erzeugt werden. Es ist jedoch in
vielfältiger Weise vorhanden. Eine Organisation kann nicht lernen; lediglich deren
Mitglieder. Allerdings stellt die Organisation die Rahmenbedingungen des Lernens. Zudem
verfügt die Organisation über die passenden Speichermedien, um ein organisationales
Gedächtnis aufzubauen. Hierzu zählen nicht nur Datenbanken und Dokumente, sondern auch
kulturelle Aspekte wie Handlungsroutinen oder Erfahrungen aus der Vergangenheit.
Weiter kann man zwischen dem personalen und organisationalem Wissen
unterscheiden: das organisationale Wissen, auch institutionelles Wissen genannt, steckt in
personen-unabhängigen, anonymisierten Regelsystemen. Diese wiederum definieren die
Operationsweise eines Sozialsystems. Dies sind besonders Standardverfahren, Leitlinien,
Traditionen, etc. und spezifische Kulturmerkmale einer Organisation.
Kollektives Wissen entsteht durch Kommunikation und privates Wissen.
Wissen kann in Organisationen durch viele Prozesse entstehen. Sowohl durch Lernen der
Individuen, als auch durch zahlreiche Mechanismen innerhalb der Organisation.
"Organisatorisches Lernen beschreibt Veränderungsprozesse, die in personengebundener
Form ablaufen und sich in veränderten Problemlösungen niederschlagen,...".
In Organisationen kann Wissen nur durch die Initiative von Einzelnen
und Interaktion einer Gruppe geschaffen und verstärkt werden. Wissenskristallisation und
Wissensverstärkung vollzieht sich meist anhand von Dialogen. Auch der Erfahrungsaustausch
oder die Beobachtung im kleinen Rahmen tragen elementar zur Wissensverbreitung bei. Das
bedeutet, Wissen kann nur durch Kommunikation entstehen.
Organisationen werden nicht mehr nur als statische Gebilde gesehen,
sondern als "höchst fluide Gebilde", welche einem ständigen Wandlungsprozeß
unterzogen sind. Man kann dies auch mit einem Mosaikbild vergleichen, bei welchem immer
wieder aus denselben Mosaikbausteinen verschiedene Bilder entstehen.
Nonaka und Takeuchi fordern von den Organisationen die Bereitstellung
der notwendigen Rahmenbedingungen für die Wissensschaffung. Diese kann nur in Gruppen
stattfinden.
Untersuchungen von Davenport haben gezeigt, daß Organisationen, in
denen sich die Mitarbeiter noch gut genug kennen um durch reine Kommunikation auf eine
gemeinsame Wissensbasis zugreifen zu können, maximal 300 Beschäftigte haben dürfen. Die
Entwicklung zu globalen Unternehmen mit geographisch weit verteilten Standorten und einem
reichhaltigen Sortiment an Produkten und Dienstleistungen verhindert den einfachen
Austausch von Wissen: In Organisationen dieser Größe ist es ohne aktives
Wissensmanagement unmöglich, Wissen auszutauschen. Wissen ist erst wertvoll, wenn es für
jedermann zugänglich wird; und je zugänglicher es wird, desto wertvoller wird es.
Organisationen erwerben Wissen durch Lernen. In den letzten Jahren hat
sich die Forschung zunehmend mit dem Thema von organisationalem Lernen beschäftigt.
Organisationales Lernen ist der Prozeß der Veränderung innerhalb organisatorischen
Wissensbasen. Dieser Prozeß soll die Problemlösungsfähigkeit und Handlungskompetenz der
Organisationsmitglieder verbessern. Lernprozesse von Organisationen laufen auf
unterschiedlichste Weise ab. Organisationen lernen zum Einen durch das Lernen der
Individuen in der Organisation, zum Anderen lernen Organisationen durch die Veränderung
von Strukturen. Lernen können letztlich nur die Individuen einer Organisation. Jedoch haben auch Organisationen
Eigenschaften, die weder durch die Fähigkeiten des Einzelnen, noch durch die Summe der
beteiligten Mitglieder beschrieben werden können.
Organisationsmitglieder sollen durch ständige Lernprozesse in der Lage
sein, die Entwicklung der Organisation zu begleiten, mehr noch: diese positiv zu
beeinflussen. Dies bedeutet die Förderung der Lernprozesse im täglichen Arbeitsablauf.
Dazu werden die Mitarbeiter mit den Wirkungen ihrer Handlungen konfrontiert (Feedback), so
daß Lernprozesse ausgelöst werden können. Die Organisationsmitglieder reflektieren und
analysieren ihre Handlungen.
Organisationen können Wissen erwerben, in dem sie Wissensakquisition
betreiben. Wissen wird zugekauft. Entweder, indem man ein ganzes Unternehmen -und damit
dessen Wissen- kauft, oder durch Neueinstellungen einzelner Personen. Werden externe
Organisationen in eine bestehende Organisation integriert um Wissen zu erwerben, entstehen
häufig Probleme, da Wissen im Rahmen von spezifischen Unternehmenskulturen generiert wird
und so nach einem Transfer nicht mehr in derselben Weise zur Verfügung steht.
Eine weitere Möglichkeit für Unternehmen Wissen von außen zu
erwerben, ist die Beschaffung von "Mietwissen". Dabei unterstützen
Organisationen externe Forschungseinrichtungen oder Universitäten bei Projekten, und
erhalten dafür das Erstrecht der kommerziellen Nutzung bezüglich der Ergebnisse. Auch
der Zukauf von Beratungsleistung zählt als Mietwissen, wobei in immer mehr
Beratungsverträgen die Bereitstellung von Beraterwissen in strukturierter,
kodifizierbarer Form verlangt wird.
Eine weitere Form des Wissens-Erwerbs für Unternehmen, können auch
eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen sein. Gerade Unternehmensberatungen nehmen
diese Form der Wissensgenerierung verstärkt wahr (siehe Kapitel Wissensmanagement in
Unternehmensberatungen).
Wissen wird in Organisationen in verschiedenen Wissensträgern
gespeichert (siehe Tabelle 1: Wissensträger von Organisationen). Dabei werden an die
verschiedenen Wissensträger unterschiedliche Anforderungen gestellt. Wissensträger sind
Objekte, Personen oder Systeme, die in der Lage sind Wissen zu speichern und zu
repräsentieren.
Wissen von Organisationen |
Internes Wissen |
Externes Wissen |
Implizites Wissen |
| Unternehmenskultur |
| Experten und Mitarbeiter |
| Software und Systeme |
|
| Geschäftspartner |
| Bildungseinrichtungen |
| Beratungen |
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Explizites Wissen |
| Dokumentationen |
| Datenbanken |
| Berichte |
|
| Publikationen |
| Bibliotheken |
| Externe Datenbanken |
| Internet |
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Tabelle 1: Wissensträger von Organisationen
Durch die zunehmende Verbreitung von Intranets wird
der Zugriff auf externe Wissensquellen über das Internet zunehmend vereinfacht.
Eine weitere Unterscheidung von Wissen ist die zwischen individuellem
und kollektivem. "Da Unternehmen koordinierte Handlungszusammenhänge darstellen, ist
für sie kollektives Wissen ausschlaggebend. Einzelne Genies genügen nicht;
sofern sie ihr Wissen nicht im Umfeld mitteilen und dort adäquate Handlungen aktivieren
können." Kollektives Wissen ist eine Mischung aus explizitem und implizitem Wissen.
Es kann in Einzelteile zerlegt werden und in dieser Form imitiert oder erworben werden.
Nonaka und Takeuchi bezeichnen die Fähigkeit von Organisationen, kollektives Wissen zu
schaffen als "... die Fähigkeit eines Unternehmens Wissen zu erzeugen, es in der
ganzen Organisation zu verbreiten und ihm in Produkten, Dienstleistungen und Systemen
Ausdruck zu verleihen." Das kollektive Organisationswissen entsteht nach o.g. Autoren
durch das managen von vier Wissensprozessen, welche im folgenden Kapitel beschrieben
werden.
Wissensprozesse
von Organisationen
Wie bereits erläutert, entsteht Wissen durch Vorgänge, welche sich
aus den eingeführten Dimensionen von implizitem und explizitem Wissen ergeben. Daraus
entstehen vier Wissensprozesse, die durch Interaktion von Individuen stattfinden können
(Vgl.: Abbildung 3: Wissensprozesse nach Nonaka):
| Der erste Prozeß ist die Wandlung von implizitem zu implizitem Wissen (Sozialisierung)
hierbei werden innere Werte, Normen und Moralvorstellungen durch Vorleben unbewußt auf
andere übertragen. |
| Der zweite Prozeß ist die Bewußtmachung, d.h. es wird implizites in
explizites Wissen transformiert. Dieser Prozeß wird als Externalisierung beschrieben. |
| Der dritte Prozeß ist die Wandlung von explizitem zu explizitem Wissen (Kombination),
dies kann beispielsweise durch kopieren von Dokumenten erfolgen, welche Informationen
enthalten die in einem Individuum Wissen erzeugen. |
| Der vierte Prozeß erfolgt durch Wandlung von explizitem zu implizitem Wissen
(Internalisierung). Dieser Prozeß entspricht klassischem lernen, wenn ein Mensch
beispielsweise ein Buch liest und sich dabei Wissen aneignet. |
Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, daß die
Externalisierung von komplexem Wissen ein nahezu unmögliches Unterfangen darstellt
(Beispielsweise Fahrradfahren).
Abbildung 3:
Wissensprozesse nach Nonaka und Takeuchi
Ein weiterer Wissensprozeß ist das Entlernen oder die
"Wissensbereinigung". Dabei wird Wissen, welches veraltet ist oder nicht mehr
den Anforderungen der Organisation entspricht, aus der Wissensbasis der Organisation
entfernt.
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